Pünktlichkeit von Flüchtlingen

Teilnehmer in Deutschkursen sind nicht mehr oder weniger pünktlich als Studenten in Seminaren.

Bevor ich Deutschkurse an Flüchtlinge und Zugewanderte gegeben habe, hörte ich oft ärgerliche Aussagen über die mangelnde Pünktlichkeit. Über kulturelle Unterschiede zwischen der deutschen Lieblingstugend Pünktlichkeit und dem „südländischen“ oder „mittelöstlichen“ Begriff von Zeit. Diese Aussagen hörte ich aus meinem weiteren Umfeld, während der Weiterbildung zum DaZ-Lehrer und am Anfang auch von einigen Syrern mit denen ich mich unterhielt.

Mittlerweile bin ich eher überrascht, wenn jemand in einem meiner Kurse unpünktlich ist. Vielleicht haben die letzten 12 Monate, die die Menschen hier verbracht haben, dazu beigetragen, dass sie das deutsche Verständnis von Pünktlichkeit übernommen haben. Wahrscheinlich ist hier die geduldige Vorarbeit von freiwilligen Helfern und Sozialpädagogen sowie Betreuer_innen entscheidend. Vielleicht aber gibt es andere Gründe.

Vorletzte Woche hatte ich die Möglichkeit zwei Vorkurse von Anfang an zu begleiten – von der Info-Veranstaltung an über die ersten zehn Stunden im ersten Kurs und vierzig Stunden im zweiten Kurs. Die Teilnehmer sind durch die Bank pünktlich im Klassenzimmer. Nach den Pausen ist die Hälfte früher da, ein Drittel ist Punkt auf die Uhr zurück und ein Drittel maximal zwei Minuten später. Das ist nicht anders, als ich es vom Unterricht an der Universität gewohnt bin.

Wenn jemand später kommt, gibt es immer „normale“ Gründe. Also nicht ein „Verpeilen“ oder ein kulturell geprägtes Unverständnis was Pünktlichkeit ist, sondern Gründe wie eine lange Toilettenschlange (2 Toilettenplätze auf 30 männliche oder 30 weibliche Teilnehmer aus drei parallel laufenden Kursen, die gleichzeitig Pause machen), eine Schlange beim Bäcker, eine Störung beim Bezahlen mit der EC-Karte, sich Verquatschen, Anruf von Jobcenter/Arztpraxis/Familie, Zug/Bus zu spät als Ausrede oder Tatsache.

Für die Zukunft

Ferner gibt es drei Dinge, die man als Lehrkraft machen kann, wenn Unpünktlichkeit stört.

1, Pünktlichkeit von Anfang an Betonen und bei jedem Übertritt anmahnen. Nach einer Woche haben es alle verstanden, auch diejenigen, die vielleicht zehn Worte sprechen. Ob angemahnte Teilnehmer es dann auch einhalten ist eine andere Frage, aber da zumeist syrische und afghanische Teilnehmer der Lehrkraft gegenüber überdurchschnittlich respektvoll entgegentreten, kann man hier viel mit einfachen Worten steuern. Auch übersetzen die bewanderten Teilnehmer, so dass zuanfangs Schwache die Ansagen der Lehrkraft verstehen.

2, Unterricht länger machen für jede fünf Minuten, die man später kommt. Das kann bei jugendlichen Teilnehmern helfen, die wie alle in diesem Alter störrischer sind.

Ich habe gehört, dass Lehrkräfte die Klassenzimmertür abschließen und die Leute warten lassen, aber ich habe das noch nicht ausprobiert. Ich möchte, dass die Leute jederzeit willkommen sind, denn ich weiß nie, aus welchem Grund jemand zu spät kommt. Wenn er oder sie egal aus welchem Grund trotzdem zum Unterricht kommt ist das mir am wichtigsten. Die größte Überraschung war, als ein Teilnehmer mitten im Unterricht zu einem Termin wollte. Ich erklärte mit einem Dolmetscher, dass das nicht gehe, aber in der ersten Woche eine Ausnahme wäre. Ich ließ ihn gehen. Zwanzig Minuten vor Unterrichtsschluss kam er zurück, obwohl ich es nicht von ihm erwartet habe. Sein Wohnort ist nicht gerade um die Ecke.

3, Die Wichtigkeit und den Sinn von Pünktlichkeit erklären, soweit es geht. Es wird jedem klar, warum es stört, wenn alle paar Minute Leute in die Klasse kommen während die anderen mit ihren Köpfen in „Endungen Präsens von Verben auf d/t/n“ stecken.

Das waren drei Möglichkeiten, wie man handeln kann. Abschließend kann ich aus meiner sechsmonatigen Lehrerfahrung mit Flüchtlingen sagen, dass sie im Deutschunterricht pünktlich sind.

Ein Gedanke zu „Pünktlichkeit von Flüchtlingen

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